Christoph Schlingensief im Interview zu VIA INTOLLERANZA II

ORF ?1 Mittagsjournal, 12.06.2010

Der deutsche Regisseur thematisiert diesmal die Beziehungen zwischen dem reichen Norden und dem armen S?den, genauer einem Afrikanischen Land, n?mlich Burkina Faso. Den Hintergrund bildet sein Projekt des Operndorfs.

Seit vergangenem J?nner entsteht in der N?he von Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou auf Initiative Schlingensiefs das Operndorf Remdoogo. Dieses Kunstprojekt soll mehr sein, als das Schlagwort: “eine Oper f?r Afrika”.

Es handelt sich n?mlich nicht nur um die zuk?nftige Auff?hrungsm?glichkeit von Musiktheater, sondern auf dem 14 Hektar gro?en Areal entstehen Schulen, Film- und Musikklassen, Prober?ume, ein G?stehaus, eine Theaterb?hne und ein Festsaal sowie ein Caf?, ein Restaurant, B?ros, Werkst?tten und Siedlungen, ein Fu?ballplatz, Agrarfl?chen und eine Krankenstation. Besonders viel erwartet sich Schlingensief von der Arbeit mit den dortigen Kindern, die ja in v?llig anderen Bildwelten leben als die Europ?ischen. Fernsehen, Zeitungen und Internet spielen f?r die sieben- bis siebzehnj?hrigen keine Rolle.

Die Europ?er sollen da auf keinen Fall als Lehrmeister und ?hnliches auftreten, bzw. ihre Unterst?tzungsgelder mit Auflagen verkn?pfen. Allerdings erwartet Schlingensief als Gegenleistung dann, dass die dort geschaffenen k?nstlerischen Produkte, also etwa Filme oder Musiktheater- Produktionen, dann in Europa zu sehen sein werden.

Allerdings laufen die Dinge dort oft anders meint Christoph Schlingensief zum Projekt. Er lerne laufend Neues.

Die Idee sei, dass die Einwohner die Dinge selbst in die Hand nehmen: so schuf etwa der aus der Gegend stammende Architekt Francis K?r?, ?brigens Preistr?ger des renommierten Aga-Khan-Architekturpreises, eine raffinierte Architektur f?r die Geb?ude, mit Rohstoffen aus der Gegend, leicht und billig herzustellen, so dass die Dorfbewohner ihr Dorf selbst bauen k?nnen. Ziel Schlingensiefs war es eben, die Oper als alle Disziplinen vereinende Kunstform mitten im Leben anzusiedeln.

Aber inzwischen hat er einige ?berzeugungen revidieren m?ssen, und zieht eine erste Bilanz: “Ich bin als Gutmensch gescheitert. Ich habe begonnen mit Umarmungsstrategien, aber das ist hier ganz anders.”

Inspiriert durch Luigi Nono’s Musiktheaterst?ck “Intolleranza 1960”, aus dem Jahre 1961, das sich schon damals mit Rassismus und Intoleranz gegen?ber Fl?chtlingen auseinandersetzt, hat Christoph Schlingensief eine Produktion mit acht K?nstlern aus Burkina Faso auf die Beine gestellt.

Luigi Nono nannte seine Oper “Azione scenica” und als solche, turbulente szenische Aktion muss man auch Schlingensiefs neues Schauspiel, das bereits in Br?ssel und Hamburg gezeigt wurde, verstehen. Wie immer verwendet er die unterschiedlichsten Medien: Projektionen, Musik, Tanz, Worte. Zu Nono, der sich Ende der 1970er Jahre in seinem Tun v?llig neu positioniert hat, f?hlt Schlingensief eine gewisse N?he. Nicht zuletzt durch sein Krebserkrankung, erscheint er abgekl?rter: “Ich bin sachlicher, das kann ich ihnen versprechen. Ich war fr?her mehr bereit, alles durchgehen zu lassen, das mache ich nicht mehr.”